Detail: Die Bausenatorin im Gespräch

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Dr. Dorothee Stapelfeldt über die Zukunft des Bauens in Hamburg 

Die gebürtige Hamburgerin (Jahrgang 1956) verfasste ihre Promotion zum Thema „Wohnungsbau der 1950er-Jahre in Hamburg“. Seit 2015 ist sie Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, seit dem 10. Juni dieses Jahres in zweiter Amtszeit. Zuvor war sie Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, Zweite Bürgermeisterin und Senatorin für Wissenschaft und Forschung. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder.

 

In unserer Mitgliederzeitung bei uns - Ausgabe Herbst 2020 - wurde beretis ein Auszug des Interviews mit der Bausenatorin veröffentlicht. Hier können Sie jetzt das vollständige Interview lesen. 

 

1. Was sind die (drei) zentralen Ziele Ihrer Stadtentwicklungspolitik in den kommenden Jahren?

Senatorin Stapelfeldt: Hamburg ist attraktiv und weltoffen. Viele Menschen und Unternehmen zieht es in unsere Stadt. Ich sehe es als unsere zentrale Aufgabe an, das Wachstum der Stadt so zu gestalten, dass Hamburg eine lebenswerte Metropole für alle bleibt. Der Wohnungsneubau in Hamburg muss auf dem hohen Niveau weiter fortgesetzt werden. Das ist auch mittelfristig notwendig, um der großen Nachfrage gerecht zu werden. Und wir wollen mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr öffentlich geförderte Wohnungen und mehr freifinanzierte bezahlbare Hamburg-Wohnungen. Dafür brauchen wir ein starkes, vertrauensvoll arbeitendes Bündnis für das Wohnen in Hamburg. Wir wollen unsere großen und kleinen innovativen, urbanen und klimagerechten Stadtentwicklungsprojekte voranbringen. Sie prägen Hamburgs Stadtbild positiv, sie stehen für Lebensqualität. Es ist uns gelungen, unsere Stadt zu einer modernen Metropole weiter zu entwickeln. Auf diesem Kurs möchte ich auch in den kommenden fünf Jahren bleiben und dabei Hamburgs Charakter als grüne und lebenswerte Metropole am Wasser bewahren.

2. Der Koalitionsvertrag sieht vor, weiterhin jährlich rund 10.000 Wohnungen zu errichten. Was entgegnen Sie Kritikern, die meinen, es sei in den vergangenen Jahren genug Wohnraum geschaffen worden? Jetzt sei es genug.

Senatorin Stapelfeldt: Wir haben gute und schlagkräftige Argumente für unsere Wohnungsneubaupolitik. Wir haben eine hohe, sehr differenzierte Nachfrage: wir brauchen kleinere Wohnungen, seniorengerechte Wohnungen, größere Wohnungen für Familien. Wir brauchen insgesamt mehr und solche mit innovativen Grundrissen, die die Erfordernisse des Lebens auch in 30 bis 50 Jahren erfüllen. Im Hinblick auf die Mieten steht Hamburg im Konzert mit den anderen deutschen Großstädten vergleichsweise sehr gut da. Der Mietenanstieg hat sich seit 2017 halbiert und bleibt unter dem Verbraucherpreisindex. Wir sind führend im sozialen Wohnungsbau, seit 2011 sind rund 66.000 Wohnungen gebaut worden darunter fast 20.000 öffentlich geförderte Wohnungen mit Neubaumieten um 6,50 bis 6,70 Euro. Im neuen Koalitionsvertrag haben wir uns vorgenommen, unsere erfolgreiche kooperative Wohnungspolitik fortzusetzen. Hamburg steht für eine gute, moderne, gerechte und soziale Wohnungsbaupolitik. Zentraler Baustein ist unser Wohnungsbauprogramm. Jedes Jahr bringen wir mindestens 10.000 Wohnungen auf den Weg; und das ist wichtig, denn der Neubau wirkt mietpreisdämpfend, weil er mehr Wohnangebote schafft. Davon profitieren alle Hamburgerinnen und Hamburger, nicht nur diejenigen, die neu in unsere Stadt kommen, sondern auch die, die hier schon leben. Und ganz wichtig ist: Hamburg hat immer noch erhebliche Potenziale für neuen Wohnungsbau, die wir mit unseren großen Projekten überall in Hamburg nutzen und gestalten wollen.

3. Die von Ihnen in den vergangenen Jahren verantwortete Wohnungspolitik hat dazu geführt, dass in Hamburg fast 66.000 Wohnungen errichtet wurden. In der Folge liegt der durchschnittliche Mietenanstieg nun schon im zweiten Jahre unter der allgemeinen Preissteigerungsrate. Das ist ein großartiger Erfolg und bundesweit einzigartig. Wäre es nicht an der Zeit, die Mietpreisbremse abzuschaffen?

Senatorin Stapelfeldt: Nein. Um den Mietenanstieg weiter zu dämpfen und langfristig zu einer Entspannung auf dem Hamburger Wohnungsmarkt zu kommen, müssen wir alle politischen und gesetzlichen Instrumente nutzen, um die Mieterinnen und Mieter in der „Mieterstadt“ Hamburg, mit deutlich über 70 Prozent Mietwohnungen, zu schützen. Dazu gehört, neben dem Wohnungsneubau, die Mietpreisbremse, deren Verlängerung wir jetzt im Senat auf den Weg gebracht haben, und die Umwandlungsverordnung genauso wie die Kappungsgrenzenverordnung. Letztere sieht aktuell vor, dass die Mieten in Hamburg – weil hier auf dem Wohnungsmarkt eine Gefährdungslage besteht – innerhalb von drei Jahren um 15 Prozent statt wie sonst üblich um 20 Prozent steigen können. Dafür wollen wir uns im Bund weiter einsetzen. Ich bin froh, dass der Mietenspiegel so positive Ergebnisse hatte: nur 2,6 Prozent Steigerung in zwei Jahren.

4. In Sachen CO2-Vermeidung rückt die Wohnungswirtschaft in den Fokus der Politik. Viele bestehende Wohngebäude müssen energetisch saniert werden, wenn die ambitionierten CO2-Reduktionsziele erreicht werden sollen. Wie kann verhindert werden, dass die energetische Sanierung von Bestandsgebäuden dazu führt, dass bislang bezahlbarer Wohnraum für Normalverdiener nicht mehr bezahlbar sein wird? Wie soll das aus Ihrer Sicht gehen, ohne dass der soziale Frieden in den Quartieren in Gefahr gerät?

Senatorin Stapelfeldt: Wir haben uns mit der Fortschreibung des Hamburger Klimaplans sehr ambitionierte Ziele für den Klimaschutz und die Reduzierung des CO2-Ausstoßes gesetzt. Das wird eine große Aufgabe, die wir gemeinsam im Bündnis für das Wohnen schultern wollen. Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß Hamburgs um 55 Prozent gegenüber 1990 gesenkt und bis 2050 soll Klimaneutralität erreicht werden, d.h. die CO2-Emissionen sollen gegenüber 1990 um 90 Prozent verringert werden. Diese Zielsetzungen für den Wohnungsbestand umzusetzen und dabei die Konflikte zwischen Klimaschutz, Sozialverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit zu lösen, erfordert höchste Anstrengungen aller Beteiligten. Wir haben daher eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Sie wird Kosten-Nutzen-Analysen für die energetische Bestandsentwicklung und für alternative Neubaustandards enthalten. Die Leistungsbeschreibung für die Studie haben wir mit den Bündnispartnern der Wohnungswirtschaft und den Mietervereinen zusammen erarbeitet. Zudem habe ich einen Beirat ins Leben gerufen, der den Prozess begleiten soll. Dort sind neben den Partnern im Bündnis für das Wohnen auch Vertreterinnen und Vertreter der Kammern und der Bauwirtschaft sowie aus der Forschung und der Wissenschaft vertreten.

5. In Hamburg werden die Grundstücke, die gut und leicht bebaut werden können, weniger. Wie will Ihre Behörde sicherstellen, dass in den kommenden Jahren ausreichend Grundstücke für das bezahlbare Wohnen zu Verfügung stehen?

Senatorin Stapelfeldt: Wir haben Potentialflächen für den notwendigen Wohnungsneubau und Grundstücke für bezahlbare Wohnungen. In der Koalitionsvereinbarung sind alleine für die großen Stadtentwicklungsgebiete Flächen für fast 50.000 Wohnungen enthalten. Nach den Datenanalysen, die wir jährlich machen, besteht ein Potential von Flächen für fast 130.000 Wohnungen. Aber klar ist auch: wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Umsetzung von Baumaßnahmen nicht einfacher, sondern komplexer wird. Den Schwerpunkt in der Stadtentwicklung sehen wir nach wie vor in der Innenentwicklung. Mit den Flächen in den Fokusräumen und den Gebieten „mehr Stadt an neuen Orten“ haben wir ein ausreichendes Potential. Wichtig ist mir dabei, dass Hamburg seinen Charakter als lebenswerte und grüne Metropole am Wasser behält und es uns gelingt, unsere Stadt weiter zu einer urbanen, modernen Metropole mit hoher Lebensqualität  und gemischten, sozial ausgewogenen Quartieren zu entwickeln. Hamburg soll und wird auch künftig eine Stadt für alle bleiben.

6. Dem Koalitionsvertrag zufolge soll die Vergabe öffentlicher Grundstücke im Wege des Erbbaurechts „ausgebaut“ werden. Warum wollen Sie die Vergabe von Grundstücken im Wege des Erbbaurechts noch einmal mehr verstärken?

Senatorin Stapelfeldt: Wir wollen unsere soziale Bodenpolitik der vergangenen Legislaturperiode fortsetzen. Mit der neuen Bodenpolitik, Konzeptausschreibungen, deutlich mehr Erbbaurechtsvergaben zu vernünftigen Konditionen und strategische Flächenankäufe sollen langfristig bezahlbare Mieten und Gestaltungsspielräume für strategische Stadtentwicklungen ermöglicht werden. Durch die Neuformulierung der Erbbaurechte und durch die Konzeptvergaben und Beschränkung städtischer Grundstückpreise für bezahlbares Wohnen sowie den Einsatz der Instrumente des Baugesetzbuchs handeln wir zukunftsorientiert. Die Konditionen zur Verlängerung der seit vielen Jahren bestehenden und auch für neue Erbbaurechte haben wir intensiv mit dem Bündnis erörtert und abgestimmt. So konnten wir Konfliktpunkte ausräumen und haben es gemeinsam geschafft, dass wir auch für die Zukunft durch Erbbaurechte bezahlbares Wohnen gewährleisten können. Wir stehen vor einer wichtigen Aufgabe, Boden ist eine endliche Ressource, die wir für die kommenden Generationen erhalten wollen. Mit dem Erbbaurecht können wir die Stadtentwicklung heute und in Zukunft steuern. Wir können besser auf veränderte Ziele der Stadtentwicklung in Hamburg reagieren und langfristig einen „Ausverkauf“ städtischer Flächen verhindern. So behalten wir unser wichtiges Ziel im Blick, auf städtischem Grund und Boden bezahlbaren Wohnraum zu sichern.

7. Die Genossenschaften haben angekündigt, keine Grundstücke im Erbbaurecht mehr von der FHH zu übernehmen. Lässt Sie diese Entscheidung kalt?

Senatorin Stapelfeldt: Keineswegs, da haben wir bereits Gespräche mit den Genossenschaften geführt und müssen dies auch weiterhin tun. Eine unserer ersten Aufgaben in der neuen Legislatur wird es ja sein, das Bündnis für das Wohnen in Hamburg zu erneuern. Wir werden deshalb mit allen Partnern aus dem Bündnis sprechen und die neuen Ideen und Leitlinien diskutieren. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass nur gemeinsam die wichtigen Themen im Bereich Stadtentwicklung und Wohnen erfolgreich angepackt werden können. Diesen Weg will ich unbedingt weitergehen!

8. Am Mesterkamp wurden öffentliche Grundstücke an Genossenschaften nur im Wege des Erbbaurechts vergeben, während private Investoren Grundstücke erwerben konnten. Wie erklären Sie diese unterschiedliche Behandlung von Investoren?

Senatorin Stapelfeldt: Wir haben uns entschieden, Wohneigentum in das Quartier Am Mesterkamp zu integrieren, auch um eine soziale Durchmischung dort zu erreichen. Dafür haben wir zwei Baufelder am Rande ausgewählt, damit die anderen im Erbbaurecht zu vergebenden Flächen ein zusammenhängendes Gebiet von Erbbaurechtsgrundstücken bilden. Die Entscheidung erfolgte in enger Abstimmung zwischen dem Bezirksamt Hamburg-Nord, meiner Behörde und dem Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen. Aber ich gebe Ihnen Recht, in Zukunft wird es darum gehen, Eigentumsformen auch im Erbbaurecht anzubieten.

9. Wie wollen Sie künftig verhindern, dass Investoren unterschiedlich behandelt werden?

Senatorin Stapelfeldt: Wir werden darauf achten, dass dies nicht geschieht. Im vergangenen Jahr haben wir unsere Bodenpolitik neugeordnet. Mit Beschluss durch die Bürgerschaft sind die neuen Konditionen für die Neubestellung und Verlängerung von Erbbaurechten in Kraft getreten. Dort haben wir festgehalten, dass wir künftig im Einzelfall prüfen werden, ob ein Grundstück im Wege einer Erbbaurechtsbestellung zu vergeben ist oder ob es verkauft werden soll. Dabei gilt der Grundsatz: Je nachgefragter, je zentraler und je stärker die betreffende Fläche, desto eher wird zukünftig ein Erbbaurecht bestellt.

10. Der Koalitionsvertrag sieht vor, die „Förderung von Genossenschaften“ auszubauen. Wie wird diese erweiterte Förderung bestehender Genossenschaften aussehen? Was soll sie beinhalten?

Senatorin Stapelfeldt: Genossenschaftliches Wohnen ist ein sehr gutes zukunftsfähiges Modell für das Wohnen. Es ist sozial, ein Leben in Gemeinschaft. Genossenschaften unterstützen uns auch bei neuen, innovativen Ideen. Es ist an der Zeit, mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen, auch neue Initiativen zu fördern, ich werde die Genossenschaften dazu einladen.

11. Steigende Baukosten erschweren es den Wohnungsgenossenschaften, bezahlbare Wohnungen zu errichten. Manche Genossenschaft wird daher möglicherweise auf den Neubau verzichten, weil sie ihren Mitgliedern gegenüber zu hohe Mieten nicht verantworten kann und eine Quersubventionierung nicht mehr zu schaffen ist. Kann die Stadt da etwas gegen tun? Wenn ja: was wäre das?

Senatorin Stapelfeldt: Für den geförderten Mietwohnungsneubau haben wir bereits im letzten Jahr beschlossen, städtische Grundstücke nur noch für maximal 600 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche zu verkaufen. Wir haben sehr gute Rahmenbedingungen für Wohnungsunternehmen geschaffen, neue Sozialwohnungen (2020 geförderte Vorhaben mit einer Anfangsmiete von 6,70 Euro) zu bauen. Mit der Hamburger Wohnraumförderung sind die Bauvorhaben wirtschaftlich auskömmlich finanzierbar. Ich freue mich, dass die Genossenschaften dieses Förderangebot in den letzten Jahren so engagiert genutzt haben. 2019 ging rund ein Viertel aller bewilligten geförderten Neubauwohnungen auf Anträge der Genossenschaften zurück. Auch bei den Konzeptausschreibungen für städtische Grundstücke konnten sich die Genossenschaften mit der Qualität ihrer Konzepte gut durchsetzen. Dieses Verfahren hat sich in den vergangenen Jahren wirklich bewährt und wird fortlaufend weiterentwickelt. Aber natürlich sind wir uns in der Behörde und im Senat der steigenden Baukosten bewusst. Als erstes haben wir 2017 ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse wir intensiv mit der Wohnungswirtschaft, der Architektenkammer und der Bauwirtschaft diskutiert haben. Es wird jetzt regelmäßig fortgeschrieben. Auf den Fachkonferenzen der BSW haben wir uns mit dem Thema befasst, zuletzt im September 2019, auf der Fachkonferenz „Bezahlbares Wohnen in Hamburg 2030: Impulse für und aus Hamburg“. Und im Bündnis für das Wohnen gab es eine Arbeitsgruppe für „Bezahlbares Wohnen“ auch mit intensiven Erörterungen der gestiegenen Baukosten. Alle Initiativen greifen wir in dieser Legislaturperiode wieder auf, um Lösungen zu finden.